Morgens um 9h30 war der Termin. Ich meldete mich am Empfang der Praxis. Wie immer sollte ich meine Krankenkassenkarte abgeben.
Die Arzthelferin lächelte mich freundlich an. Ich lächelte gequält und unsicher zurück. Zum Fröhlich sein war mir bei diesem Termin nicht zumute. Mir war flau im Magen, ich wusste ja nicht um meinen Gesundheitszustand. Während ich auf meine Karte wartete, schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf.
Verrückte Sachen. Was ich bisher in meinem Leben so tat, was ich in der Zukunft noch alles vorhatte. Alte Freunde fielen mir ein, die ich mal wieder anrufen könnte. Einkaufen musste ich an diesem Tag noch, Milch, Brot und...verdammt, bis eben wusste ich es doch noch. Es war doch so wichtig, ich hätte es mir eben aufschreiben sollen. Alles querbeet, ich fasste keinen klaren Gedanken mehr.
"Danke, sie können im Wartesaal Platz nehmen, wir rufen sie dann auf."
Wartesaal, so ein altmodisches Wort, ein Saal war es nun wirklich nicht. Ein kleiner Raum mit weissen Wänden, wie liebevoll. Und dann diese Bilder, sie sollen wohl beruhigend wirken. Aber es sind so merkwürdige Motive, irgendwie typisch Arztpraxis. Jede Betrachtung ruft schon diese beängstigende Assoziation hervor:
"Siehst du mich, bist du beim Arzt, du bist also krank."
Und dann diese Aufklärungsposter: "Haben sie schon an ihre Vorsorgeuntersuchung gedacht? Informieren sie sich gleich bei ihrem Arzt, morgen könnte es schon zu spät sein."
Bei solchen Drohungen fühlt man sich irgendwie viel kränker als man ist.
Die Klatschpresse nicht zu vergessen, die man im Supermarkt keines Blickes würdigt. Also wäre ich jetzt nicht krank, wüsste ich nicht, dass Prinzessin S. von Monaco schon wieder mit einem Neuen gesichtet wurde und dass Madonna jährlich XY Millionen Dollar verdient.
"Zaubern Sie mediterranes Flair in Ihre Wohnung. Ganz schnell und ganz einfach mit unserer neuen Do-it-yourself-Serie.", was ich nicht alles verpasst hätte.
Ich legte die Zeitung wieder weg, ich konnte mich einfach nicht konzentrieren.
Das flaue Gefühl wurde immer stärker, je länger ich so da sass in diesen unbequemen und nüchternen Bürostühlen. Schwarze Sitzflächen mit Chrom und Stahl, so anorganisch.
Hoffentlich dauerte es diesmal nicht so lange. Und dann auch noch dieses Licht, so grell, künstlich, meine Augen taten schon weh.
Als mein Blick in Richtung Fenster fiel, sah ich, es regnete. Toll, da ich jetzt beim Arzt war, verpasste ich draussen nicht viel.
Ich bekam schon beklemmende Gefühle, ich versuchte einmal tief durchzuatmen. Dieser Geruch, ach ja ich bin ja in der Arztpraxis. Was sonst käme hier in Frage, als die Kombination von Sagrotan und Kodan Forte Plus. Jetzt merkte ich auch meine Kopfschmerzen.
Ich schloss die Augen, dieses Wirrwarr von Bildern, Postern, grellem Licht, dem Geruch und diese einengenden weissen Wänden, ich ertrug das alles nicht.
Warum konnte es nicht eine von diesen normalen Routineuntersuchungen sein?
Wie lange dauerte es denn noch?
Was mach ich denn, wenn das Ergebnis negativ ausfiel?
Wer passte dann auf mein Kanninchen auf?
Hätte jemand Zeit für meine Post, meine Blumen?
Wie lange werde ich dann im Krankenhaus bleiben müssen?
Fragen über Fragen. Diese verdammte Ungewissheit.
"Frau Amstetten in Sprechzimmer 3, Frau Amstetten in Sprechzimmer 3 bitte."
Die Stimme aus dem Lautsprecher so ohne Gesicht, ohne Herz und Seele, riss mich ohne Vorwarnung aus meinen Gedanken.
Bei dem Weg zum Sprechzimmer fühlte ich mich schwer und trostlos ohne Ende. Warum musste ich denn jetzt auch zum anderen Ende der Praxis? Ich musste an den lächelnden Frauen in weiss vorbei, den Gang entlang, Sprechzimmer 5, Sprechzimmer 4, Röntgenaufnahmen, jetzt weiss ich wenigfsten, wo das alles ist. Ob mir das weiterhilft? Nicht wirklich. Sprechzimmer 3, na endlich.
Ich ging hinein, der Arzt war natürlich nicht da. Ich setzte mich. Hier gab es ein riesiges Fenster, das Licht musste nicht angemacht werden. Das Tageslicht reichte noch, so beruhigend. Aber wenn ich hier jetzt noch 10Minuten warten soll, würde ich echt zum Tier werden. Noch gar nicht richtig zu Ende gedacht, ob ich nun dann ein Tiger oder doch eher ein Hai werden würde, kam auch schon der Arzt rein.
Wahnsinn, diesmal ging es ja richtig schnell. Hatte ja noch nicht einmal Zeit, auf meine Krankenunterlagen zu schauen, hätte ich vielleicht vorher was erfahren. Ob diese Schnelligkeit nun nur Zufall war, oder aber etwas zu bedeuten hatte, das wusste ich noch nicht so recht zu urteilen. Jedenfalls gab es jetzt kein Zurück mehr.
"Schönen guten Tag, Frau Amstetten, wie fühlen sie sich?"
"Es könnte besser sein."
Der Arzt lächelte mich an mit einer Art, die man nie deuten konnte.
Ob gut oder schlecht, ich würde die Ergebnisse nun endlich erfahren.
Alles andere sehen wir dann weiter.